Zwischen Lebenslust und Leere: Yvonne kämpft gegen seltenes Myxoides Liposarkom
| Datum: Donnerstag, den 31.07.2025 um 13:38 Uhr
2024, Yvonne B., 42, ist auf Reisen als sie zwischen Nürnberg und einem geplanten Fußmarsch von Pisa nach Genua plötzlich Symptome verspürt. Seit zwei Jahren lebt sie ihren Traum vom freien Arbeiten, systemischem Coaching und dem kleinen Unternehmen, das ihren großen Gedanken Raum gibt: „IWI – I am what I am.“
Über 30 europäische Länder und Orte hat sie allein bereist. Sie hat Menschen und Unternehmen beraten und geführt, Vereine gegründet, Ideen angestoßen. Sie ist neugierig auf das Leben. Doch auf der Reise wandelt sich die ursprüngliche Energie. Der Bauch spannt. „Es war kein Schmerz – eher ein diffuses Gefühl, als hätte ich innerlich keinen Platz mehr“, sagt sie. Was viele ignoriert hätten, nimmt Yvonne B. ernst und geht zum Frauenarzt. Der Gynäkologe macht einen Ultraschall. Dann geht alles schnell. Eine Raumforderung. Computertomographie, Darmspiegelung, Bluttests erhärten den Verdacht auf ein Sarkom, ein seltener, bösartiger Tumor, der Bindegewebe, Fett, Muskeln, Knochen oder Blutgefäße umfassen kann. Vielleicht auch Bauchfellkrebs. Die Chance auf eine Heilung stand mit 80/20 schlecht, ein Schock für die junge Frau.
„Die Diagnose hat mich nicht erschlagen, sie hat mich klargemacht.“ Yvonne entscheidet sich gegen Panik und für Struktur. Sie spricht mit ihren Liebsten, schreibt ihre Patienten- und Betreuungsverfügung, erteilt Vollmachten, regelt die Abläufe in ihrer Firma. Sie bucht sich ein Einzelzimmer für die Klinikzeit, richtet sich ein, als wäre es eine Zwischenstation auf einer Reise – nur diesmal führt sie auf ein unbekanntes Terrain. „Ich war im Frieden mit meinem Leben, aber nicht fertig damit. Ich wollte es nicht loslassen.“
Der Tumor, so zeigt die Bildgebung, ist groß: 22 × 16 × 11,5 cm. Über drei Kilo schwer. Vermutlich war er zwei bis drei Jahre gewachsen, lag eingebettet im rechten Retroperitoneum, also tief im Bauchraum, zwischen den Organen. Es handelte sich um ein seltenes Myxoides Liposarkom, einen bösartigen Tumor des Weichteilgewebes.
Der Fall wird im Tumorboard des Onkologischen Centrums des Klinikums Chemnitz diskutiert. Dort entscheidet man sich gegen eine Biopsie, weil selbst die Gewebeentnahme zu Zellverschleppung führen könnte – mit möglicherweise lebensbedrohlichen Folgen.
Der Eingriff, der alles veränderte
In Chemnitz trifft sie auf Prof. Dr. med. Lutz Mirow, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie – ein ruhiger, erfahrener Mann. Einer, der nicht beschwichtigt, sondern erklärt. Der ihre Bedenken ernst nimmt.
„Die geplante Bauchspiegelung wäre in ihrem Fall unmöglich gewesen. Eine offene Operation war medizinisch klar die sicherere Entscheidung“, sagt Prof. Mirow rückblickend. „Die Ausdehnung und Lage des Tumors ließen keine minimalinvasive Entfernung zu. Eine vollständige Resektion war nur mit direkter Sicht möglich.“ Der Tumor hatte sich mit der Nierenkapsel verwachsen – hatte aber glücklicherweise nicht die Niere selbst infiltriert. Entfernt werden musste sie zur Sicherheit dennoch. Die Herausforderung bestand darin, den Tumor vollständig und ohne Zellverschleppung zu entfernen.
Fachlich heißt das:
- Mediane Laparotomie: ein klassischer Bauchschnitt entlang der Mittellinie.
- In toto entfernt: der Tumor wurde komplett am Stück entnommen.
- R0-Resektion: es blieben auch mikroskopisch keine Tumorzellen im Körper zurück.
- Makroskopisch vollständig: was mit bloßem Auge sichtbar war, wurde vollständig beseitigt.
Ein enormer Eingriff, aber erfolgreich. Yvonne überstand die Operation ohne akute Komplikationen, wurde auf der Überwachungsstation stabilisiert und konnte bald verlegt werden.
„Wir haben hier ein extrem seltenes Tumorbild, das besondere Aufmerksamkeit und Expertise verlangt. Nur wenige Kliniken behandeln solche Fälle überhaupt. Gerade deshalb ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend – und die individuelle Begleitung der Patientin“, so Prof. Mirow.
Therapie: Körper, Geist – und ein ganzes Team
„Prof. Mirow hat mir empfohlen, mich vor der Operation viel zu bewegen und Treppen zu steigen, die Bewegung als Schutz und Vorbereitung. Ihn persönlich kennenzulernen hat mein Vertrauen wieder gestärkt. Seine Entscheidung und sein chirurgisches Können haben mir vermutlich das Leben gerettet – ich glaube, ohne ihn wäre ich heute nicht mehr hier“, sagte Yvonne, leise, tief bewegt.
Nach der OP folgt der nächste Kraftakt: eine systemische Chemotherapie.
Warum? Obwohl der Tumor vollständig entfernt wurde, könnten mikroskopisch kleine Zellnester im Körper geblieben sein. Deshalb empfehlen Experten in solchen Fällen eine sogenannte adjuvante Therapie – eine unterstützende Behandlung nach der Operation, um Rückfälle zu verhindern.
Yvonnes Chemotherapie orientiert sich am ISG-STS-Protokoll, mit dem Medikament Doxorubicin + Ifosfamid – hochwirksame Zytostatika – über mehrere Zyklen stationär. Sie erhält Bluttransfusionen, kämpft mit zunehmender Erschöpfung und herausfordernden Nebenwirkungen, erlebt einen Geschmacksverlust und einen Ohnmachtsanfall, verliert alle Haare. Doch sie bleibt metastasenfrei.
„Ich bin kein Opfer – ich bin eine Forscherin auf meinem eigenen Weg.“ Yvonne lernt in dieser Zeit nicht nur, wie belastbar ihr Körper ist – sondern auch, wie wichtig psychologische und sozialmedizinische Unterstützung ist. Gespräche mit Psychoonkologen und Psychoonkologinnen sowie dem Sozialmedizinischen Dienst helfen ihr, ihre Ängste zu sortieren.
Sie denkt für sie bereits bewährte Rituale neu: Meditation, Bewegung, Schreiben.
Inneren Fokus zu finden, ebenso die Natur, kleine Auszeiten und die Vorfreude auf geplante Reisen im eigenen Camper-Van geben ihr Hoffnung.
Yvonne schöpft ihre Kraft zudem aus einem liebevollen Netzwerk: Familie, Freunde, Kunden – alle standen ihr zur Seite. Ihre berufliche Selbstständigkeit gibt ihr Sinn und Halt, auch in schweren Phasen.
Besonders bewegend war für sie das Mitfühlen der Angehörigen: Ihre Sorgen und Ängste empfand sie oft als schmerzhafter als die eigene Erkrankung. Deshalb plädiert sie dafür, auch für Angehörige professionelle psychologische Angebote zugänglich zu machen – und jede emotionale Reaktion ernst zu nehmen, ohne Scham.
Station K35B: Medizin, Menschlichkeit – und Humor
Am Standort im Küchwald wird sie während der adjuvanten Therapie Teil eines Teams, das ihr Rückhalt gibt. Die Pflegerinnen und Pfleger und Ärztinnen und Ärzte unter der Leitung von Prof. Dr. Hänel werden zu vertrauten Wegbegleitern. „Ich habe dort geweint, gelacht, geschlafen, gelebt, und ich wurde gesehen. Nicht als Fall, sondern als Mensch.“
Nachsorge – ein Leben in Etappen
Heute ist Yvonne B. metastasenfrei, aber ihr Leben hat sich verändert. Sie musste Erwerbsminderungsrente beantragen mit Pflegestufe 3, kämpft mit Erschöpfung und Nachwirkungen der Therapie. Ihre Nachsorge ist engmaschig – mindestens alle drei Monate CT, Blutkontrollen, Ultraschall.
„Ich sehe mich nicht als geheilt – sondern als aufmerksam. Ich höre heute viel genauer hin, wenn mein Körper spricht.“
„Wir wissen, dass man durch eine strukturierte und engmaschige Nachsorge zusätzlich zur optimalen Primärbehandlung die Prognose dieser Erkrankung deutlich verbessern kann“, so Prof. Dr. Lutz Mirow. „Sollten mögliche Rückfälle frühzeitig erkannt werden, ergeben sich immer viel bessere Behandlungschancen auch in dieser Situation.“
Die Mission danach: Mut machen, aufklären, begleiten
Yvonne hat viel erlebt – und möchte, dass ihre Erfahrungen nicht ungehört bleiben. Ihr Ziel ist es, anderen Betroffenen Mut zu machen und seltene Krebserkrankungen stärker ins Bewusstsein zu rücken. Mit Offenheit und Herzenswärme möchte sie neue Perspektiven eröffnen, Verständnis fördern und dazu beitragen, dass Erkrankte – mit der Diagnose, in der Therapie, rund um die Operation und darüber hinaus – sich weniger allein fühlen.
„Ich wünsche mir ein Gesundheitssystem, das mehr erkennt als Zahlen. Eines, das die Menschen versteht, die darin leben. Wir brauchen mehr Achtsamkeit, mehr Menschlichkeit, mehr Effizienz. Und vor allem: Wissen, das dort ankommt, wo es gebraucht wird.“
Sie hat sich vorgenommen, als Onkolotsin oder Holistic Cancer Coach zu arbeiten. Sie spricht offen über Ängste, Abschiede, und darüber, wie nah das Leben und der Tod manchmal beieinanderliegen.
„Ich kann schwere Dinge tun. Und ich kann sie überleben.“
Awareness rettet Leben
Myxoide Liposarkome sind extrem selten. Sie entstehen im Weichteilgewebe – oft ohne Schmerz, ohne Symptome, tief verborgen im Körper. Die wichtigste Waffe dagegen? Aufmerksamkeit. Und Zentren, die sich auskennen.
Woran Betroffene denken sollten:
- Unklare Schwellungen im Körper? Abklären lassen.
- Müdigkeit, die nicht weggeht? Hinhören, den Arzt aufsuchen.
- Veränderungen am Bauch, an Gliedmaßen, am Rumpf? Nicht ignorieren.
„Ich hatte keine klassischen Symptome, nur ein Bauchgefühl. Zum Glück habe ich darauf gehört.“
Und was bleibt?
Ein Zitat. Eine Frau. Ein neuer Blick auf das Leben.
„Ich mag meine Lausbuben-Frisur. Ich mag meine Narben. Ich mag mein echtes Ich, weil ich weiß, wie zerbrechlich alles ist. Ich will nicht beschönigen, aber ich will Hoffnung schenken. Denn wenn man überlebt, lebt man anders. Und das ist gut so.“
Ich weiß heute: Bewegung hilft, wenn sie zu mir passt. Ich darf mich nicht übernehmen, aber auch nicht aus Angst erstarren. Jeder Schritt zählt. Und genauso zählt der Umgang im Klinikalltag, ruhig, respektvoll, aber auch klar für sich einstehend. Ich frage nach, spreche an, hole mir Antworten – nicht aus dem Netz, sondern von echten Expertinnen und Experten. Mein Rat: Traut euch. Bleibt aufmerksam. Und haltet euer Wissen griffbereit, denn niemand kennt euren Körper besser als ihr selbst.“
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